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In Polen angekommen

Da standen wir nun mit unseren Rädern auf dem City-Bahnhof von Swinemünde. Wir schauten zum Himmel und waren uns einig, das war eine gute Idee, den Tag so zu beginnen. Uns war schon ein bisschen mulmig und wir fragten uns, was dieser Tag uns wohl noch bescheren würde. Die Wolken rasten nur so am Himmel dahin und der Wind war ziemlich heftig.

Welche Richtung einschlagen, war die Frage. Wir nickten zur selben Seite. Die Fähre zur Halbinsel Wollin konnte nur in Nord-Ost sein. Es dauerte auch nur wenige Minuten und wir wussten, wo wir uns befanden. Die herrschaftlichen Häuser, die vielen Läden und ihre anziehenden Auslagen interessierten uns heute nicht. Wir wollten, so schnell wie möglich, auf die andere Seite der Swine. Und schon drängelten wir uns mit vielen anderen auf die Fähre.

Den Ostseeradweg, in Polen als R 10 ausgewiesen, kannten wir auf diesem Abschnitt der Reise schon recht gut. Wir freuten uns jetzt auf Misdroy. Da wir nach Möglichkeit windgeschützt fahren wollten, beeilten wir uns, in den Hochwald zu kommen und wichen von der Route ab. Oh je, durch Holzeinschlag war der Weg stellenweise sehr aufgewühlt. Wir wurden öfter gezwungen die Räder zu schieben. Der Himmel wurde immer dunkler und wir waren froh, als wir den Kurort erreicht hatten.

Jetzt erst einmal Geld tauschen, dachten wir. Die Polen sind sehr stolz und wollten schon damals keine Euros, und dieses Mal wollten wir schließlich durch ihr ganzes Land. Das mit dem Geldtausch klappte dann recht schnell. Ein Lokal mit großen Glasscheiben, sodass wir die Räder gut sehen konnten, fanden wir auch gleich. Das Essen war ausgezeichnet, laut meinen Aufzeichnungen. An manche Gaststätten kann ich mich bis heute erinnern, was ich da gegessen habe, aber in diesem Fall nicht.

In meinem Tagebuch steht, dass Fred seine Routenpläne sortierte. Er hatte für jedes Land die Fahrtroute ausgearbeitet und Polen I kam jetzt oben auf seine Lenkertasche, immer sichtbar, durch die Klarsichtfolie. Ein Navigationsgerät hatten wir damals nicht.

Komm, es geht jetzt weiter durch den Nationalpark Wollin, befahl er. Puh, das ging ganz schön steil nach oben. Wir mussten die Räder lange schieben. Zum Glück befanden wir uns im Hochwald, denn der Wind wurde stärker. Oben angekommen, wurde es recht schön. Der Weg wurde breiter und fester. Es fuhr sich gut bis zum Wisentgehege, und dort wurde erst einmal eine Pause eingelegt. Wir bewunderten diese starken Tiere.

Aber dann schienen wir alleine auf der Welt zu sein. Es wurde abenteuerlicher, denn manchmal war der Weg sogar weggerutscht. Er wurde immer schmaler und steiniger, vor allem war es ein ständiges auf und ab. Die Berge auf der Halbinsel haben es in sich. Als ich dann mal im Busch verschwinden musste, war Fredi mir fast zu lustig, denn er versuchte mich dabei zu fotografieren.

Bald verging uns aber das Lachen, denn es regnete in Strömen. Zum Glück hatten wir die Berge überwunden und waren auf einer kleinen, romantischen Straße gelandet. Bei gutem Wetter muss es dort wunderschön sein. Wir sind an mehreren Seen vorbeigekommen, die etwas Märchenhaftes hatten. Dichter Hochwald begleitete uns linker Hand. Auf der gesamten Strecke war nirgendwo eine Schutzhütte zu finden, was uns sehr ärgerte, denn wir hätten uns gern einmal ausgeruht.

Im Golfgebiet Kolczewo haben wir aufgegeben, denn es regnete zu stark. Zum Glück entdeckten wir einen kleinen Tante-Emma-Laden, in dem wir erst einmal Zuflucht suchten. Wir kauften ein und die Bedienung bot uns im Nachbarhaus ein Zimmer an. Waren wir da froh. Das Dumme war nur, dass unsere Räder im Regen auf der Terrasse stehen mussten, was uns natürlich gar nicht gefiel. Es regnete und stürmte die ganze Nacht. Wir schliefen beide ziemlich schlecht.

Am nächsten Morgen nieselte es, aber zum Glück nur leicht, meinte Fredi. Und dann bestand er auf einer Abkürzung durch das Vogelparadies. Na gut, dachte ich, mit ihm, mitten im Paradies, wollte ich schon immer mal sein. Der Weg war leider schlecht, sodass wir schieben mussten. Wir sahen noch einen Storch beim Nest bauen, und da war er wieder der R10. Wir radelten entspannt weiter, denn es hatte aufgehört mit der Nässe von oben und unten.

Nach der Brücke bei Dziwnow hatten wir bekanntes Gebiet unter unseren Rädern. Als wir in Rewal Urlaub machten, hatten wir ausgiebige Radausflüge unternommen. Jetzt profitierten wir davon. Hier ist der R10 ein breiter, fester Waldweg und führt dicht hinter den Dünen entlang. Wir fuhren erst einmal bis zu einem Strandaufgang vor, um über das Meer zu schauen. Es war sehr aufgewühlt, von einem düsteren Grau, und kam uns geradezu unheimlich vor. Aber wir freuten uns trotzdem, es in seiner ganzen Weite vor uns zu haben.

Die Aufgabe, die wir uns gestellt hatten, war doch unglaublich. Werden wir in einigen Wochen wirklich auf der anderen Seite des Meeres sein, fragten wir uns? Wir nickten uns beide zu und dann ging es weiter nach Pobierowo zum Fischessen. Das weiß ich heute noch ganz genau, wie gut der schmeckte. Fisch zubereiten, verstehen die Polen in dieser Region einzigartig.

Leider wurde der Himmel über uns wieder furchterregend, und wir fuhren zügig weiter. Schade, noch nicht einmal die Kirchenruine an der Steilküste wurde besichtigt. Ich hätte gern gewusst, ob sie noch in ihrer Schönheit vorhanden ist. Die Kirche hatte sich einmal das Meer geholt und nun waren nur noch Bruchstücke vorhanden. Es wird alles getan, um diese Kleinode zu erhalten.

In Rewal regnete es dann richtig stark. Zur Steilküste wollten wir bei dem Wetter nicht, obwohl wir gerne zu den Fischerbooten geschaut hätten. Das hatten wir damals oft getan. Jetzt flüchteten wir in ein Café und bekamen warmen Kuchen, der sehr lecker war. Die Räder konnten wir durch eine große Glasscheibe hindurch beaufsichtigen und so die wohlverdiente Pause genießen.

Bei dem Wetter ließen wir den schönen, interessanten Weg am Steilufer links liegen. Wir rasten förmlich auf der Strandstraße entlang. An dem herrlichen Leuchtturm holten wir nur kurz Luft, was wir sehr bedauerten. Gern wären wir wieder zu ihm aufgestiegen. Für uns war und blieb er der schönste an der Ostsee.

Weiter ging es durch den gepflegten Badeort Niechorze, Nest auf Deutsch gesagt. Die einzige Hauptstraße war menschenleer. Es roch noch nicht einmal nach frisch Geräucherten. Bei dem Wetter war das auch kein Wunder. Vor dem Armeegebiet suchten wir nach einer Hütte. Aber die waren alle ohne Heizung und wir mussten doch unsere Sachen trocknen. In Pogorzelica (Fischerkaten), bekamen wir ein warmes Zimmer. Wir hatten das den trällernden Mädchen zu verdanken, die gerade zur Chorprobe wollten. Der Chef ließ sich nicht lange bitten und schloss sogar unsere Räder ein. So konnten wir ruhig schlafen in dem hübschen Zimmer, in dem sogar die Bettwäsche zur Tapete passte, was mich sehr beeindruckte. Es kostete uns auch wieder nur 25 Euro für die Nacht.