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Wie gesund waren wir eigentlich

Wir waren 62 Jahre alt und hatten, wie man so schön sagt Federn gelassen. Fred war ein Bluthochdruckkandidat und deshalb machten wir schon einige Jahre keinen Urlaub mehr im Hochgebirge.

Wir waren einmal begeisterte Wanderer in der Hohen Tatra und als die Alpen für uns frei waren suchten wir gerne nach Herausforderungen. Wir scheuten auch nicht vor 3000er und Hüttenübernachtungen zurück. Ich denke da an den Spaß im Zugspitzgebiet, an die Sellagruppe, die Rote Wand, um nur einige zu nennen. Dann war das Fiasko im Gschnitztal, Freds Tritte wurden unkontrolliert, ihm wurde schlecht und auch nach Ruhetagen gab es keine Besserung. Er beruhigte sich selber und bildete sich ein, er wäre nur erkältet.
Ich stieg an einem herrlichen Tag alleine auf und ließ ihn im Bett. Es war unglaublich, als ich oben auf dem Grat stand und weit, weit in das Tal blicken konnte. Meine Gedanken waren nur bei ihm dort unten. Ich beeilte mich mit dem Abstieg und der erste Mensch, den ich an dem Abend traf, das war er. Er saß auf einer Bank, an der ich vorbeikommen musste und wartete auf mich. Ich könnte nicht beschreiben, wie groß meine Gefühle für ihn waren.
Sein Zustand wurde in der Höhe nicht besser, denn der Körper konnte sich durch den Bluthochdruck nicht regenerieren. Wir mussten abfahren, und er überließ mir freiwillig das Lenkrad. Als wir unten am Walchensee ankamen, ging es ihm sofort besser, und wir verbrachten noch herrliche Urlaubstage.

Wir mussten beide begreifen, dass mit der richtigen Einstellung zur Krankheit das Leben auch schön sein kann. Aber es kam noch schlimmer, Fred bekam Thrombosen, und wir konnten von Glück sagen, dass die sich die Lunge ausgesucht hatten zum Steckenbleiben. Er hatte eine große Lungenoperation und erholte sich nur langsam. Nun kamen zu den Medikamenten noch Gerinnungshemmer und Blutverdünner, doch das Leben ging weiter.

Wir fuhren in unserer Freizeit Rad und das immer intensiver. Fred war arbeitsmäßig für den Radweg Berlin-Kopenhagen zuständig, und deshalb fuhren wir ihn gleich zwei mal ab. Meinem Rheuma tat diese Betätigung auch sehr gut. Ich litt seit Jahren an dieser Krankheit, ohne es zu wissen. Erst als ich mich gar nicht mehr bewegen konnte und mir Fred schon beim An- und Ausziehen helfen musste, erkannte endlich eine Spezialistin mein Übel. Mit einem Kortisionsschub brachte sie mich wieder auf Vordermann.

Fred war unglaublich lieb und schenkte mir sogar neue Langlaufski, damit ich wieder mehr Mut bekam. Als unsere große Fahrt begann, hatte ich nur noch zwei Milligramm täglich von dem scheußlichen Wirkstoff einzunehmen, und es ging mir gut. Leider war nur mein Gesicht etwas angeschwollen, aber das war mein kleinster Kummer. Worüber ich nicht sprach, das war mein Herz. Das Problem, dass meine Kräfte weniger wurden, behielt ich für mich. Fred hänselte mich mitunter, wenn ich noch langsamer fahre, würde ich vom Fahrrad fallen. Der Kardiologe hatte mir erklärt, dass ich nicht leichtsinnig sein darf, weil bei mir eine Herzklappe nicht in Ordnung wäre. Er mahnte zur Vorsicht. Ein Dreißigjähriger wäre beim Waldlauf wegen dem selben Problem einfach tot umgekippt, berichtete er eindringlich. Na ja, ein bisschen Angst hatte ich schon. Ich dachte aber, wenn dein Puls zu hoch ist, das wirst du merken und machst dann Pause. Das muss geklappt haben, denn ich schreibe ja unsere Reise auf und das ohne irgendwelche Beschwerden.

Trotz aller gesundheitlichen Widrigkeiten haben wir uns nicht von unserem Vorhaben abbringen lassen, und ich bin heute noch froh darüber.

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